Die folgenden Ausführungen sind eine schriftliche Zusammenfassung der im Video dargestellten Inhalte.

Um Kinder beim Mathelernen unterstützen zu können, muss sich zunächst mit ihren Denkweisen auseinandergesetzt werden. Dazu sollte sich auf ihre Art und Weise zu rechnen, eingelassen und diese wertgeschätzt werden. Denn nur so kann in Erfahrung gebracht werden, wo genau in der Förderung angesetzt werden muss und welche Aufgaben oder Materialien dabei eingesetzt werden sollten. Dieses Modul beschäftigt sich daher damit, wie Kindern beim Mathelernen begegnet werden sollte, um ihr Denken besser zu verstehen.

Wie können wir Kinder besser verstehen?

Allgemein empfiehlt es sich in einer Diagnose- bzw. Fördersituation dem Kind gegenüber eine eher passive Rolle einzunehmen. Daher „sollte das Vorgehen […] von bewusster Zurückhaltung geprägt sein“ (Selter & Spiegel, 1997, S. 101), indem dem Kind Raum und Anlässe geboten werden, seine Denkwege offenzulegen. Zu diesem Zweck können gezielte Impuls wie „Zeig mir mal, wie du das gelöst hast.“, „Erklär mal, was du dir gedacht hast.“ oder „Woher weißt du das?“ genutzt werden, um das Kind zu einem lauten Denken bzw. zur Verbalisierung seiner Gedanken zu veranlassen (Krauthausen, 2018, S. 271). Diese signalisieren dem Kind nicht nur Interesse an seinem Denken. Erscheint eine Lösung des Kindes auf den ersten Blick nicht plausibel, kann mit solchen Impulsen in Erfahrung gebracht werden, wie das Kind gedacht hat. Auf diese Weise wird zusätzlich vermieden, dass ihm eine Lösungsidee vorgegeben wird, die es seinerseits vielleicht nicht nachvollziehen könnte, weil es ganz anders denkt (Götze, Selter & Zannetin, 2019, S. 168). Auch eine Frage, wie „Hast du das so gemeint?“ kann zielführend sein, weil sie das Kind beim Verbalisieren unterstützen kann, wobei es gleichzeitig zu berücksichtigen gilt, dass das Kind eine solche Frage bejaht, obwohl sie nicht mit seinem Denkprozess übereinstimmt. Auf diese Weise kann es zu einem verfälschten Eindruck über seine Fertigkeiten kommen.

Die vorgeschlagenen Impulse sind aber nicht nur in Situationen einzusetzen, in denen die Lösung eines Kindes nicht plausibel erscheint. Auch bei richtigen Lösungen sollte hin und wieder eine Erklärung eingefordert werden, um auch hier zu verstehen, wie das Kind gedacht hat. Außerdem vermeidet dies beim Kind den Eindruck, dass es nur bei Fehlern gefragt wird und es wird ihm signalisiert, dass insbesondere ein Interesse an seinen Lösungswegen und nicht nur an den Ergebnissen besteht.

"Illustration einer Lehrkraft und eines Kindes. Lehrkraft: „Wie hast du das gemacht?“. Vor dem Kind liegen 8 Plättchen mit einer Lücke nach 5 Plättchen: „8, 7, 6, … also ist 8 minus 3 gleich 6 … Ah! Nein. 5!“

Wie gehen wir mit Schweigen um?

Impulse zu setzen und Fragen zu stellen, bedeutet wiederum nicht automatisch, dass das Kind sofort mit einer Antwort reagiert oder währenddessen ins Stocken gerät. Denn es kann natürlich vorkommen, dass das Kind zunächst schweigt oder auch eine Pause beim Antworten macht. Dies lässt aber nicht den Rückschluss zu, dass es nicht nachdenkt (Götze, Selter & Zannetin, 2019, S. 168), sondern diesem Schweigen liegen oft andere Ursachen zugrunde. Dem Kind sollte daher eine gewisse Zeit gegeben werden, zu antworten bzw. seine Antwort fortzusetzen, weil es vielleicht Zeit zum Nachdenken benötigt. Bisweilen fällt es Kindern aber auch schwer, sich verständlich auszudrücken, um ihr Denken für andere nachvollziehbar zu machen (Selter & Spiegel, 1997, S. 102 f.). Sollte also der Eindruck entstehen, dass das Kind eine Antwort nicht formulieren kann, kann eine Frage wie „Worüber denkst du gerade nach?“ helfen, um zu erfahren, ob und wobei genau das Kind gegebenenfalls Schwierigkeiten hat. 

"Illustration einer Lehrkraft und eines Kindes. In der Denkblase des Kindes: „? 15, 14, 13, … 12!“ und ein Zwanzigerfeld mit 12 roten und 3 blauen Plättchen. Vor dem Kind auf dem Tisch liegt ein Blatt mit der Aufgabe „15 minus 3 = 13“. Lehrkraft: „Kannst du mir erklären, was du machst?“

Macht ein Kind einen Fehler, ist dies kein Anlass, es vorschnell zu verbessern. Zunächst sollte abgewartet werden, ob es diesen selbst erkennt und vielleicht sogar korrigieren kann. Andernfalls sollte dem Kind durch geschicktes Nachfragen geholfen werden, seinen Fehler selbst zu erkennen. Hierzu ist es z. B. möglich, dem Kind die Lösung eines fiktiven Kindes zu nennen und es anschließend zu fragen, wie dieses Kind vermutlich zu seiner Lösung gekommen ist oder was es beim Rechnen vielelicht anders gemacht hat (Selter & Spiegel, 1997, S. 108). Eine andere Möglichkeit besteht in dem Einsatz von Material, der bei dem Kind einen Erkenntnisprozess in Gang setzen kann, wodurch Rechenfehler selbst erkannt werden können. 

Hat das Kind hingegen weiterhin Schwierigkeiten damit seinen Fehler selbst zu erkennen, ist es durchaus legitim, es zu korrigieren. Hierbei gilt aber zu beachten, dass ihm auch immer erklärt wird, welchen Fehler es gemacht hat, damit es diesen nachvollziehen kann. Da hierbei aber nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass das Kind wirklich nachvollziehen konnte, was es falsch gemacht hat, ist in einer solchen Situation ebenfalls der Einsatz von Material oder ein erneutes Nachfragen sinnvoll.

"Illustration einer Lehrkraft und eines Kindes. Denkblase des Kindes: „1 Zehner und 4 Einer sind 5…“. Sprechblase des Kindes: „Ach ne! Ein Zehner, also 14!“.

Um Kinder beim Mathematiklernen besser zu verstehen, bedarf es neben Zurückhaltung auch das Zeigen von Interesse an seinen Denkwegen, indem das Kind entsprechende Wertschätzung dafür erfährt und gezielte Fragen zu diesen gestellt werden. Dieses Verhalten von Erwachsenen in Gesprächen mit Kindern stellt eine wichtige Voraussetzung für nachfolgende, passgenaue Fördermaßnahmen dar. Denn um ein Kind beim Lernen möglichst zielgerichtet und individuell zu unterstützen, müssen Sie erst einmal verstehen, wie es denkt und welche Ursachen ihren Fehlern zugrunde liegen (Götze, Selter & Zannetin, 2019, S. 19). Die Devise lautet: Erst verstehen, dann verstanden werden.

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